Resilienz

Das Ende der Rettermentalität

Die Deutschen sind im Job zunehmend unzufrieden. Anja Förster rät, sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen.

In einer Zeit multipler Krisen steht die Arbeitswelt engmaschig für neue Herausforderungen. Betriebliche Transformationsprozesse setzen hohe Flexibilität bei den Menschen voraus. Dazu kommt, dass derzeit weitere Bereiche des Lebens von Ereignissen berührt werden, die uns verunsichern. Nicht wenige Menschen fühlen sich regelrecht überrollt. Denken wir nur an die letzten vier Wochen zurück: Flutkatastrophen in weiten Teilen Deutschlands, mehrere Messerattacken im öffentlichen Raum und eine Europawahl, die einen deutlichen Rechtsruck zeigt. Der kürzlich veröffentlichte Gallup-Bericht belegt: Bei den deutschen Beschäftigten ist die Stimmung eingebrochen. Nur noch 45 Prozent der Menschen fühlen sich zufrieden und schauen zuversichtlich in die Zukunft, ein Minus von acht Prozentpunkten gegenüber dem Ergebnis des Vorjahres. Das Stresslevel hat sich zwar leicht erholt, liegt aber mit 41 Prozent deutlich über dem europäischen Durchschnitt (37 Prozent). Für den „State of the Global Workplace 2024“ sind 128.278 Arbeitnehmende in 145 Ländern (38 in Europa) zu den Themen Arbeitsmarkt, emotionale Mitarbeiterbindung, Stress, Wut oder der Bewertung ihres Lebens befragt worden.

Unternehmen und Arbeitnehmer stehen gleichermaßen unter starkem Druck. Versuche oder Entscheidungen, Flexibilität, Vereinbarkeit, Partizipation und Präsenz neu zu definieren, haben zu intensiven Debatten geführt. Denn es handelt sich um Errungenschaften, die von Beschäftigten als positive Auswirkungen der Pandemie wahrgenommen werden. Viele Beschäftigte erleben jetzt Kehrtwenden in ihren Arbeitsbedingungen, die oft Unsicherheit und Unzufriedenheit verstärken. „Der kolossale Fehler ist es, in der Starre zu verharren und darauf zu warten, dass ein Retter kommt“, sagt Anja Förster. Die Gründerin von Rebels at Work mit Sitz in Hamburg gilt als Vordenkerin, was den Umgang mit Veränderungen in der Wirtschaft angeht. Als Autorin und Speakerin ermutigt sie Entscheiderinnen und Entscheider, aber auch alle Beschäftigten, das Gefühl von Ohnmacht abzulegen und selbst aktiv zu werden. Sie schreibt in ihrem, im Februar erschienenen Buch (siehe Foto) über Superkräfte, mittels derer sich Menschen – so ihr Ansatz – aus der Passivität herausholen können.

Die Istheit einer Situation akzeptieren – ohne Wertung

Zwei Superkräfte stechen im aktuellen Kontext hervor: die „radikale Akzeptanz“ und „Eigenmacht“. Radikale Akzeptanz bedeutet, Situationen anzunehmen, die nicht verändert werden können. „Die Istheit einer Situation muss akzeptiert werden – ohne Wertung“, präzisiert Förster. „Sonst bündeln wir weiterhin Kräfte in die Abwehr!“ Diese Haltung kann beispielsweise bei persönlichen Schicksalsschlägen wie Krankheiten oder Trennungen helfen. Aber auch, wenn ein wichtiger Mitarbeiter kündigt, weil er ins Ausland geht. Diese Situation könne man nicht ändern, so Förster, also sei es zielführender, sie voll und ganz zu akzeptieren. Besser also nachfragen, ob dieser Mitarbeiter jemanden als Nachfolger empfehlen kann, und mit ihm zusammen eine gute Übergabe gestalten.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Radikale Akzeptanz bedeute nicht, das eigene Wertesystem aufzugeben. Läuft das Gespräch einer Gehaltsanpassung nicht wie gewünscht, wird man offensichtlich nicht marktgerecht bezahlt, weitere Gespräche helfen nichts und man fühlt sich tagtäglich schlecht damit, sollte man dies nicht radikal akzeptieren. „Man sollte sich nach einem neuen Job umsehen, statt in der Duldungsstarre zu verharren. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass für das Verharren kein Preis fällig sei, so Förster. „Auch wenn ich mich entscheide, nichts tun und in der unglücklichen Situation zu bleiben, ist ein Preis fällig.“ Ist der Arbeitgeber, der zu wenig bezahlt, aber besonders familienfreundlich, kann es helfen, die Sicht zu ändern.

energate.jobs – Das Ende der Rettermentalität

Wenn es darum geht, selbst etwas zu bewirken, kommt die Superkraft „Eigenmacht“ ins Spiel. Sie bezieht sich auf die Fähigkeit, proaktiv Veränderungen herbeizuführen und damit Verantwortung zu übernehmen. Dabei wichtig: Sich seines „großen Ja“ im Leben bewusst zu sein – die eigenen zentralen Werte und Prioritäten zu kennen. Diese Klarheit hilft, fundierte Entscheidungen zu treffen und zu wissen, wann man Nein sagen muss. Die Fähigkeit, Interessenskonflikte offen und wertungsfrei anzusprechen, sei entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung von Eigenmacht.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist „die Abkehr von der Hoffnung auf einen Retter“. „In vielen Bereichen des Lebens, ob beruflich oder privat, neigen Menschen dazu, auf Lösungen von außen zu hoffen. Diese Haltung behindert jedoch die eigene Entwicklung und Selbstwirksamkeit“, unterstreicht Förster. Die Erkenntnis, dass einem das niemand abnimmt, sei ein wichtiger Schritt hin zu einer verantwortungsbewussten (Lebens)Haltung.

Blick in die Geschichte kann Mut machen

Dies ist zudem der entscheidende Schritt hin zu mehr Wirksamkeit. Die Arbeit an sich selbst ist kein Spaziergang. So setze eine Arbeitsumwelt, die vom New-Work-Gedanken geprägt ist, Debattierfähigkeit und den kontinuierlichen Willen zur Lösungsfindung voraus. Förster fasst zusammen: „Indem Menschen lernen, das Unveränderbare zu akzeptieren, und ihre eigene Macht und Verantwortung erkennen, können sie nicht nur Krisen überstehen, sondern aktiv an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken.“ Dies erfordert die Bereitschaft, permanent an sich selbst zu arbeiten. Förster findet es hilfreich, in die Geschichte zurückzublicken für einen positiven Blick nach vorne: Der Sprung vom Agrar- ins Industriezeitalter sei ebenfalls mit großen Herausforderungen für die Menschen verbunden gewesen. „Nun springen wir in ein digitales Zeitalter, die Möglichkeiten von KI verunsichern uns noch. Wir sehen schon das Neue, haben aber noch nicht alle Antworten.“ Man könne sich vom Strudel der Unsicherheiten herunterziehen lassen, so Förster. Besser sei herauszufinden: „Wo liegt meine Gestaltungsmacht?!“

Alexandra Leibfried
Als Redaktionsleitung (V.i.S.d.P.) der Career Pioneer berichtet Alexandra Leibfried regelmäßig über HR-Management- und Karrierethemen. Ihre Artikel erscheinen in führenden Branchenzeitungen und -zeitschriften wie HORIZONT, ahgz und fvwITravelTalk. Die Career Pioneer GmbH und Co. KG ist Spezialist für Stellenmärkte und Karriereformate innerhalb der dfv Mediengruppe.

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