Seit im Juni 2023 der erste AfD-Landrat gewählt wurde, engagiert sich das Bielefelder Software-Unternehmen Comspace aktiv für Toleranz und Demokratie. Der Ausgang der Europawahl zeigt: Das Engagement ist relevanter denn je. Personalmanagerin Sarah Biendarra, Managerin People & Culture, hat dafür gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ein Konzept zur Corporate Political Responsibility (CPR) entwickelt und in der Firma implementiert.
Frau Biendarra, Melanie Kubin, Vice President Group Corporate Responsibility bei der Deutschen Telekom, sagte kürzlich: Es ist eine Pflicht für Unternehmen, eine politische Meinung zu haben. Wie sehen Sie das?
Sarah Biendarra: Es ist insofern eine Pflicht, als Unternehmen auch eine Verantwortung für das Gelingen des Staates und unseres Miteinanders haben. Diese Verantwortung geht meiner Ansicht nach weit über die reine Bereitstellung von Arbeitsplätzen hinaus. Zwischen Staat und Wirtschaft bestehen viele wechselseitige Beziehungen. Die Annahme, Unternehmen seien nicht politisch, traf noch nie zu. Sollten sich rechtsextremistische Perspektiven durchsetzen, haben wir alle irgendwann keine Grundlage mehr für gutes wirtschaftliches Arbeiten.
Dennoch haben viele Wirtschaftsakteure Sorgen, sich politisch allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. Auch aus Angst, Mitarbeitende dadurch zu verunsichern oder gar zu vergraulen. Ein Dilemma?
Ich kann ein Zögern durchaus verstehen, weil viele Unternehmen nicht gewohnt sind, sich politisch zu positionieren. Leider weiß ich auch, dass es in manchen Regionen Deutschlands mittlerweile durchaus Mut braucht, sich als Unternehmen für Toleranz und Demokratie stark zu machen. Trotzdem ist es ein wichtiges Signal, sich dafür einzusetzen, und dies wird auch von immer mehr Mitarbeitenden erwartet.
Comspace hat sich schon sehr früh positioniert. Bereits im Oktober 2023 haben Sie ein eigenes Konzept zur Corporate Political Responsibility, also zur politischen Verantwortung von Unternehmen, entwickelt. Was war der Treiber?
Als am 23. Juni im Landkreis Sonneberg der erste AfD-Landrat gewählt wurde, war das für uns eine Zäsur. An dem Tag hat unsere Geschäftsleitung beschlossen: Wir müssen etwas tun. Mein Kollege Sören Witt und ich haben im ersten Schritt ein Konzept erarbeitet, das unsere Haltung ausdrückt und zeigt, wofür wir als Unternehmen und Arbeitgeber stehen. Entstanden ist so zunächst eine Art Manifest. Es besagt unter anderem: „Wir sind überzeugt: Indem Unternehmen die Demokratie stärken, stärken sie sich selbst und tragen zur langfristigen politischen Stabilität bei.“
Wie binden Sie die Belegschaft in diese Positionierung ein?
Dafür haben wir gerade in der ersten Phase sehr viel Zeit aufgewendet. In Workshops, Feedback-Runden und anderen Formaten haben wir das Commitment der KollegInnen eingeholt. Allein dieser Prozess war sehr konstruktiv und zum Teil berührend. Viele Mitarbeitende haben über schwierige, teils persönliche Erfahrungen etwa im Umgang mit Verschwörungserzählungen oder Hassreden berichtet. Allein dass wir intern so viel und offen über diese Themen gesprochen haben, hat sehr viel bewegt.
Was haben Sie außerdem getan?
Seit das Manifest öffentlich ist, sind wir in unterschiedlichen Formaten aktiv geworden. Wir wollen nicht nur irgendetwas aufschreiben, sondern auch konkret etwas bewirken. Relativ früh haben wir beispielsweise „Lunch and Learn“-Formate angeboten, etwa mit einem Gastreferenten der Bertelsmann Stiftung. Mit allen, die wollten, sind wir zudem gemeinsam zu Demos gegen rechts gegangen und haben zusammen Stolpersteine in Bielefeld geputzt. Über eine Kooperation mit dem Business Council for Democracy, einer Initiative, die von Hertie Stiftung und Robert Bosch Stiftung unterstützt wird, konnten wir zudem eine kostenlose Schulungsreihe zu Themen wie Desinformation, Verschwörungserzählungen und Hassrede anbieten. Knapp 20 Prozent der Belegschaft haben daran teilgenommen, 15 Personen haben die ganze Schulungsreihe abgeschlossen.
Wie viele Menschen aus Ihrer rund 100-köpfigen Belegschaft haben sich bisher insgesamt an den Aktionen beteiligt?
Rund ein Drittel der Belegschaft ist sehr engagiert, etwa zwei Drittel sind eher zurückhaltend.
„Mit der Kampagne #WirFürDemokratie haben wir unsere Haltung öffentlich gemacht – und dafür durchweg positive Reaktionen erhalten.“
– Sara Biendarra, Managerin People & Culture, Comspace
Das hört sich nicht gerade nach viel Engagement an. Sind Sie damit zufrieden?
Wir haben nicht erwartet, dass 100 Leute sofort sagen: „Darauf habe ich immer schon gewartet.“ Wir wollten ein Angebot schaffen für die, die sich engagieren möchten. Und es war uns wichtig, ein Zeichen zu setzen, ein Signal für Toleranz und gegen Menschenfeindlichkeit – nach innen wie nach außen. Zudem verstehen wir das entstandene Manifest als Selbstverpflichtung gegenüber unserer Belegschaft. Im Sinne von: Du darfst dich bei uns sicher fühlen. Wenn du Diskriminierung erlebst, werden wir dem nachgehen.
Ende 2023 sind Sie auch an die Öffentlichkeit gegangen.
Ja, wir wollten uns von Anfang an auch nach außen positionieren. Mit der Kampagne #WirFürDemokratie haben wir unsere Haltung öffentlich gemacht – und dafür durchweg positive Reaktionen erhalten, sowohl von unseren Kundinnen und Kunden als auch von den Mitarbeitenden.
Knapp ein Jahr nach Start Ihrer Initiative: Was hat es Ihnen konkret gebracht?
Eine Menge. Tatsächlich haben wir nur positive Effekte erlebt. Viele KollegInnen haben sich seither intensiv mit dem Thema beschäftigt und in der Sache engagiert. Viele von ihnen äußern sich jetzt beispielsweise aktiver in sozialen Medien gegen Hassrede. Die Signalwirkung war enorm. Wir haben aufgrund unseres CPR-Engagements sogar Initiativbewerbungen bekommen. Es ist zwar nicht unser primäres Ziel, aber unsere politische Haltung hat auch einen deutlich positiven Effekt auf unser Employer Branding.
Was raten Sie Unternehmen, die es Ihnen gleich machen wollen?
Intern zu starten, um die KollegInnen von Anfang an mitzunehmen und deren Ideen und Feedback einfließen zu lassen. Bei uns kam gerade in den ersten Wochen viel wertvoller Input zusammen. Wenn man die Leute nicht hinter sich hat, wird alles schnell zum Lippenbekenntnis. Wenn man sie aber involviert, entwickelt sich schnell eine gute Dynamik. Ein weiterer Tipp ist die Kooperation mit dem schon erwähnten Business Council for Democracy. Das ist eine großartige Unterstützung – und für Unternehmen kostenlos. Hilfreich für uns war auch das Buch „Corporate Political Responsibility“ von Johannes Bohnen.
Wünschen Sie sich Nachahmer?
Klar, je mehr Unternehmen sich mit Corporate Political Responsibility beschäftigen und klar positionieren, desto besser. Wer will und dazu Fragen hat, kann mich auch gerne kontaktieren.
Wie viel Zeit kostet Sie dieses politische Engagement?
In den Anfängen haben Sören, unsere Kollegin Annie Chen aus dem Marketing und ich dem Thema jeweils rund zehn Stunden pro Woche gewidmet. Heute sind es im Schnitt drei bis fünf Stunden pro Woche.
Was würden Sie rückblickend anders machen?
Aus heutiger Sicht würden wir uns früher Gedanken machen, wie wir das Engagement verstetigen können. Wie wir nach den anfänglichen Erfolgen langfristig und nachhaltig weitermachen. Wir stehen jetzt an dem Punkt, an dem wir klären müssen: Welche Strukturen und Bausteine schaffen wir, um eine konstante Beschäftigung mit dem Thema zu ermöglichen? In ein paar Wochen wissen wir mehr. Aber eins steht fest: Wir machen weiter. Für #WirfürDemokratie gibt es kein Ende.